Bellinger Warte und Bellinger Berg

Tafel „Bellinger Warte und Bellinger Berg“ (Anklicken für PDF-Datei)

Bellinger Warte

Landwehr und Bellinger Warte

Im Mittelalter war der Schutz der Bevölkerung und ihrer Besitztümer vor streunenden Räuberbanden, wilden Tieren und einer Vielzahl sonstiger Feinde eine lebenswichtige Aufgabe, auch für eine Stadt wie Steinau. Das mittelalterliche Wehrsystem bestand daher nicht nur aus der die Stadt umgebenden Stadtmauer mit ihren Toren. Es wurde ergänzt um einen Graben mit Heckenbepflanzungen, der auch die ortsnahen Felder und Weiden umschloss, die sog. „Landwehr“. Eine weitere Funktion der Landwehr bestand in der Lenkung des seinerzeit noch überschaubaren friedlichen Verkehrs zwischen den Städten und dem Eintreiben von Wegegeldern und Zoll an den Durchlässen. Die Reisenden waren weitgehend gezwungen, auf den Wegen zu den Durchlässen zu bleiben, was Felder und Äcker schonte. Ein Passieren der Landwehr war nur an den dafür vorgesehenen Stellen, den bewachten Schlägen, möglich.

An wichtigen Wegdurchlässen oder an besonders exponierten Stellen wurden Warten errichtet. Rund um Steinau gab und gibt es vier gemauerte Warten, wovon eine, die Bellinger Warte, eine wichtige Station am Kulturweg und einen besonders schönen Aussichtspunkt darstellt. Daneben gibt es die Marborner Warte, die Ohlwarte und die Seidenröther Warte. Landwehr und Warten dürften nach vorliegenden Aufzeichnungen bereits im 14. Jahrhundert errichtet worden sein.

Landwehr (Landrück) zwischen Bellinger und Seidenröther Warte 1774, Quelle: Stadtarchiv

Typische Bestandteile der Landwehr waren ein breiter Graben in Verbindung mit dem durch den Erdauswurf entstandenen Wall, bepflanzt mit einer möglichst dichten, undurchdringlichen Hecke, meist aus Hainbuchen, Weißdorn, Schlehen, Brombeeren oder Wildrosen (dem sog. „Gebück“).
Das Gebück war meist das stärkste Hindernis einer Landwehranlage. Die Gräben wurden natürlich nur eigens angelegt, soweit die Natur nicht schon vorhandene Schutzlinien etwa durch Berge, Wälder, Gewässer, Sümpfe, Erosionsrinnen o.ä. bot. Auch nutzte man vorhandene Wege und Pfade, um an ihnen entlang die Landwehr zu errichten.

In der Folgezeit waren immer wieder Pflegearbeiten an der Landwehr nötig. Es musste gefegt, gehauen oder gebückt werden, Arbeiten, die vor allem in Fronarbeit oder durch verpflichtete Tagelöhner geleistet wurde. Diese Bemühungen ließen jedoch bereits im 17. Jahrhundert nach, und in der Folge gerieten die Landwehren in Vergessenheit. Im 20. Jahrhundert wurden sie im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft weitgehend beseitigt. Nur wenige Stücke der ehemaligen Landwehr sind daher bis heute erhalten: So sind etwa westlich der Bellinger Warte Wall und Graben noch sehr gut erkennbar, und auch im weiteren Verlauf hin zur Seidenröther Warte kann man ihren Verlauf noch gut nachvollziehen.

Die Steinauer Warten – alle ursprünglich ca. 8 Meter hoch und mit einem Durchmesser von ca. 2,4 Meter ausgestattet – waren vor allem „Beobachtungstürme“. Die Wärter konnten die Umgebung beobachten und bei nahender Gefahr Alarm auslösen, da Sichtkontakt zu den benachbarten Warten und zum Schlossturm bestand. Gewarnt wurde in der Regel über Flaggen-, Horn-, Rauch- oder Leuchtsignale. Feldarbeiter konnten somit noch rechtzeitig in die Stadt zurückkehren und die Stadtbevölkerung war gewarnt. Die Warten selbst wurden nicht verteidigt, auch wenn bspw. von der Bellinger Warte bekannt ist, dass die Wächter zeitweise darin wohnten. Begehbar waren die Warten übrigens nur über eine Außenleiter und einen Hocheingang. Eine Wendeltreppe, wie sie die Bellinger Warte heute aufweist und damit bequem bestiegen werden kann, war ursprünglich nicht vorgesehen.

Neben der Bellinger Warte ist nur die Seidenröther Warte als Aussichtsturm begehbar. Die Seidenröther Warte stand ursprünglich ca. 190 Meter nordöstlich vom jetzigen Standort entfernt und wurde im Rahmen der Anlage des „Steinauer Wartenwanderwegs“ 2006 neu errichtet.

Die Bellinger Warte war im vorigen Jahrhundert nur noch eine Ruine, als 1929 eine Renovierung beschlossen wurde und auf den Resten der Ruine ein Nachbau der ursprünglichen Warte erfolgte.

Der Turm war dann bis die 1940er Jahre als Aussichtsturm zu besteigen. Die Plattform konnte über eine schräge, fest montierte Leiter mit Geländer erreicht werden. Um 1950 wurde die Leiter entfernt, da man der Auffassung war, dass die Warte aufgrund ihres maroden Zustands nicht mehr zugänglich sein sollte. 1959 erfolgte schließlich ihr Abriss, fünf Jahre später begann man, die Warte wieder aufzubauen. Die „neue“ Bellinger Warte hat seitdem eine Höhe von 9,62 Meter bei einem Durchmesser von 3,45 Meter. 49 Stufen führen auf die Plattform, die genau auf 350 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Am 30. Mai 1965 erfolgte schließlich ihre Einweihung unter großer Anteilnahme der Steinauer Bevölkerung als Aussichtsturm, eine Nutzung, wie wir sie bis heute kennen.

Autor Gerd Euler
Quelle: Hefte 5 und 6 zu den Grenzwanderung 2004 und 2005, Geschichtsverein Steinau e.V.

Bellinger Berg

Naturschutzgebiet „Bellinger Berg“

Der Bellinger Berg ist ein Naturschutz- und FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat-Gebiet) auf dem Gebiet der Stadt Steinau an der Straße im Main-Kinzig-Kreis in Hessen. Das Naturschutzgebiet um den 345 Meter hohen Bellinger Berg herum liegt nordwestlich von Bellings, einem Stadtteil von Steinau.

Westseite Bellinger Berg 2023, Foto R. Geschwindner

Das 95,6 ha große Gebiet ist seit dem Jahr 1985 als Naturschutzgebiet und seit 2008 als FFH-Gebiet ausgewiesen. Schutzziel ist „diesen markanten Muschelkalkkegel als Standort und Lebensraum für eine Reihe seltener und bestandsgefährdeter Tier- und Pflanzenarten zu schützen und zu erhalten“. Allein sechs FFH-Lebensraumtypen (LRT) sind in dem europäischen Schutzgebiet aufgeführt, darunter die Waldmeister Buchenwald und Kalk-Buchenwalde sowie die prioritären Erlen- und Eschenwälder der Weichholzauen sowie Trespen-Schwingel-Kalk-Trockenrasen.

In den zurückliegenden Jahrhunderten waren die heutigen Waldflächen landwirtschaftlich genutzt. Teilweise wurden Terrassen angelegt, die seit 1431 als Weingärten dokumentiert und heute noch im Wald erkennbar sind. Weinbau und Ackerbau haben am Unterhang deutlich sichtbare Rinnen verursacht. Neben dem Wein- und Ackerbau war früher auch die Hute-, Mast- und Streu­nutzung im Wald für die Ernährung der Menschen von Bedeutung. Der heutige Wald ist durch Forst­wirtschaft geprägt. Die unterschiedlichen Standortverhält­nisse, Nutzungen und Schutzmaßnahmen haben eine Baumartenvielfalt aus Eiche, Bergahorn, Bergulme, Wildkirsche, Elsbeere, Mehlbeere, Wildapfel und Wildbirne hervorgebracht, die von der Buche dominiert wird.

Für Botaniker gehört der Bellinger Berg daher zu den wichtigsten Exkursionszielen der Region. Auf den basenreichen Standorten des unteren Muschelkalks und dem darunterliegenden Rötsockel ist eine artenreiche Flora zu finden. Besonders wertvoll sind der artenreiche Laubmischwald mit Orchideen-Buchenwald und Platterbsen-Perlgrasbuchenwald sowie kleinere Flächen mit Kalkmager­rasen und Feuchtwiesen.

Frauenschuh, Foto: Sibylle Winkel

Auf einem kleinflächigen Magerrasen kommen mehrere Orchideenarten sowie das Große Wind­röschen (Anemone sylvestris) vor. Im Norden des Schutzgebietes befindet sich Grünland mit Mageren Flachland Mähwiesen und Feuchtwiesen mit Arten der Kleinseggenriede und Kohlkratzdistelwiesen, darunter der Bach-Nelkenwurz (Geum rivale), die Einspelzige Sumpfbinse (Eleocharis uniglumis) und das Breitblättrige Knabenkraut (Dactylorhiza majalis).

Die „Frau Schuckelsblume“ – besser bekannt als Gelber Frauenschuh oder auch Cypripedium calceolus – war in früheren Zeiten in der Region nicht selten. Die letzten Exemplare bei Steinau, am Bellinger Berg, wurden aber bereits Ende der 1970er Jahre geplündert.


Der Dunkle Ameisenbläuling (Maculinea nausithous) – eine FFH-Art – kann hier beobachtet werden, ebenso Perlmutter­falter, die auf das Vorkommen des Sumpf-Veilchens (Viola palustris) angewiesen sind. Gelegentlich sieht man auch den Kleinen Eisvogel (Limenitis camilla), dessen Raupe an der Roten Heckenkirsche frisst.

Auch Ornithologen kommen besonders im Frühjahr auf ihre Kosten. Mittelspecht und Schwarzspecht sind Brutvögel im Gebiet. Regelmäßig streifen Pirol (Oriolus oriolus), Gebirgsstelze (Motacilla cinerea), Eisvogel (Alcedo atthis) und Kolkrabe (Corvus corax) das Gebiet. Und gelegentlich sucht auch der Schwarzstorch (Ciconia nigra) hier nach Nahrung.

Dr. Matthias Kuprian & Sibylle Winkel ⴕ

Nordseite Bellinger Berg und Wartacker mit Bellinger Warte um 1968, Foto R. Geschwindner

Zugrundeliegende Literatur:

Naturschutzgebiete in Hessen, Band 1. Main-Kinzig-Kreis und Stadt Hanau von Lothar und Sieglinde Nitsche (Hrsg.: Naturschutzring Nordhessen e.V., HGON AK Main-Kinzig) 144 Farbfotos, 14 Karten, 256 Seiten, gebunden, Format 17 x 24 cm

Sage von der Zauberin Frau Schuckel

Auch in der heimischen Sagenwelt ist die Gegend um den Bellinger Berg präsent. So sprach man in früheren Zeiten häufig von der Frau Schuckel, einer weisen und zumeist gutmütigen Zauberin, die in der Spessart-Hügellandschaft zwischen Schlüchtern, Steinau, dem „Ahlersbacher Weinberg“ und dem „Weiperzer Gipfel“ „im Berge“ wohnt, diese Gegend aber nie verlässt, weil sie sonst sterben würde.

Im Winter wohnt Frau Schuckel in verschiedenen Höhlen. Hier sollen sich Zauberbücher und reiche Schatzkammern mit Gold und Edelsteinen befinden. Diese Höhlen sind freilich für niemand zugäng­lich. Wer aber das Schloss „Rama“ und den Schlüssel „Tata“ findet und mit diesem Schlüssel das Schloss öffnet, zu dem kommen die Kinder der Frau Schuckel und führen ihn zu ihrer Frau Mutter.

Im Frühling, und zwar am 31. März, verlässt Frau Schuckel die unterirdische Welt und schwebt als holdes, jungfräuliches Frauenbild über blumige Wiesen und Wälder bis höher hinauf zu den Sternen, bis der Advent sie wieder hinunterruft.

Frau Schuckels Lieblingsblume, die „FrauSchuckelblume“, ist die allgemein als „Frauenschuh“ be­kannte Orchidee. Nach der Sage darf diese Blume, die ihr als Symbol der Kindheit und der Unschuld gewidmet ist, nur im Mai gepflückt werden. Wer sie früher oder später bricht, den hasst Frau Schuckel und zieht ihre Hand von ihm ab, wenn böswillige Berggeister ihn packen.

Frauenschuh, Foto Hubert Göbel

Die heute sehr seltene Frauenschuh-Orchidee (Cypripedium Calceolus) kam in früheren Zeiten gar nicht selten im Bergwinkel und im Frau Schuckel-Land rund um den Bellinger Berg vor. Botaniker be­richten allerdings, dass der letzte Bestand in Steinau bereits im Jahr 1976 in der Natur geplündert wurde. Vermutlich wurden die Pflanzen ausgegraben und in Gärten ausgepflanzt, wo ihre Über­lebenschancen sehr gering und nur von kurzer Dauer sind. Die Bestände haben sich seit dieser Zeit an den natürlichen Standorten auch nicht mehr erholt.

Nach dem Verschwinden der Frauenschuh-Orchidee im Jahr 1976 wurde übrigens auch Frau Schuckel nicht mehr in der Nähe des Bellinger Berges gesehen. Ob die Orchideen-Räuber inzwischen von den „Berg­geistern“ bestraft wurden, ist nicht bekannt.

Dr. Matthias Kuprian & Sibylle Winkel ⴕ

Zugrundeliegende Literatur:

  • Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau: Carl Flemming, 1868/71.
  • Die Volksnamen unserer heimischen. Orchideen. Von Dr. G. Leimbach. 1. Cypripedium Calceolus L. v. pantoftel. Schub. 1885 1. c, Schulze 1894 1.
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